Offroad in den Westalpen

Nach rund 10 Jahren geht es Ende August 2023 nochmal in die Westalpen – mit Pigpen, unserem Defender.

Wir brechen morgens in München bei strömendem Regen auf und fahren durch Österreich und die Schweiz nach Salbertrand in die italienischen Alpen. Nach gut 700 Kilometern kommen wir im Eldorado der Offroad-Community an. Es ist schön, wieder Gleichgesinnte zu treffen, und Pigpen freut sich über seine Spielkameraden, die er in den nächsten Tagen immer mal wieder treffen wird. Trotz kühlen Temperaturen genießen wir den ausklingenden Tag im „Base-Camp“ bei einem Glas Wein und unterziehen unseren Skotti Grill dem ersten Praxistest, den er mit Bravour besteht.

Unser Ziel für die nächsten Tage sind ehemaligen Militärstrassen entlang der italienisch-französischen Grenze.

Wir schlafen die erste Nacht unserer Reise wie die Murmeltiere und brechen morgens als letzte auf die erste Piste auf. Wer uns kennt, wird jetzt erstaunt die Augenbrauen hochziehen – ja, wir gehen es langsam an. Erstmal… 😉

Von Salbertrand geht es durch eine schöne Waldlandschaft hinauf zum Fort Pramand. Durch einen stockdunklen Tunnel, in dem das Wasser von der Decke tropft, geht es weiter zum Gipfel des Monte Jafferau. Der Ausblick ist phantastisch und an jeder Ecke wartet ein neues atemberaubendes Panorama. Die Piste ist bis auf wenige Stellen leicht zu fahren, und so können wir die Landschaft ausgiebig genießen, bis wir abends in Bardonecchia ankommen. Für den ersten Tag sind wir mehr als zufrieden.

Viele Offroad-Pisten in den Westalpen darf man mittlerweile von Juni bis September nur an bestimmten Wochentagen befahren. Einige darf man nur in eine Richtung befahren, für andere ist es angeraten, vorher ein Ticket zu kaufen, weil die Anzahl motorisierter Fahrzeuge reglementiert ist. Einerseits bedeutet dies ein wenig mehr Planungsaufwand, andererseits fährt man etwas chaotisch von Piste zu Piste, weil es keine wirklich optimale Route gibt. Außerdem kann man dadurch auf vielen Pisten nicht mehr übernachten, ohne sich gleich zweier Vergehen schuldig zu machen: wildes Campen und Fahren trotz Fahrverbot.

Unsere zweite Piste ist die Assietta Kammstrasse über den Colle Finestre ab Susa. In Susa stärken wir uns für den Tag und schrauben uns über fast 40 Kehren in die Höhe. Der Ausblick auf der einfach zu befahrende Piste ist gigantisch. Hinter jeder Ecke erwartet uns ein neues Panorama unglaublicher Schönheit: schneebedeckte Berge in der Ferne, dunkelgrüne Täler unter uns und gelb-grüne Berghänge, so weit das Auge schaut. Mittlerweile hat unser Defender wieder eine hübsche Patina und fühlt sich wie wir pudelwohl. Wir können uns von dem Ausblick und der Stille kaum losreißen, schlagen am Ausgang der Kammstrasse auf fast 2.500 Metern Höhe unser Nachtlager auf und genießen in der untergehenden Sonne den Blick auf ein grandioses Bergpanorama.

Wir haben auf der ganzen Reise unglaubliches Glück mit dem Wetter. Sonne satt, moderat warme Tagestemperaturen, blauer Himmel mit gelegentlichen weißen Wölkchen, die Pisten weder staubig-trocken noch matschig-durchweicht, sondern ideal zu fahren. Die Bergspitzen sind pittoresk mit dem frisch gefallenen Schnee der letzen Woche bedeckt.

Nachts ist es in den Höhenlagen jedoch ungemütlich kalt und es geht ein stetiger leichter Wind. Lange halten wir es dort daher nicht draußen aus, sondern krabbeln früh ins Bett – dankbar für unsere Standheizung.

Am Morgen werden wir vom Warnruf der Murmeltiere geweckt. Danach ist es wieder komplett still. Nur der Flügelschlag eines Raubvogels ist zu hören. Nach einem Kaffee und einem Frühstück in der wärmenden Sonne und in der morgendlichen Einsamkeit der Bergwelt brechen wir auf zum Colle Sommeiller. Auch hier geht es durch traumhafte Bergpanoramen. Wir klettern immer höher und die Piste wird immer felsiger. Die Serpentinenkehren sind steil und eng und wir müssen häufig reversieren. Wir passieren die Baumgrenze und fahren in frisch gefallenem Schnee durch die karge hochalpine Landschaft. Auf 2.995 Metern Höhe haben wir unser Ziel erreicht – den höchsten mit einem KFZ erreichbaren Punkt in den Alpen. Wir passieren zu Fuß die Grenze von Italien nach Frankreich und stehen am Gletschersee des Sommeiller-Gletschers. Der Ausblick ist fantastisch. Hier oben ist es uns für eine Übernachtung zu kalt. Also machen wir uns an den Abstieg vorbei am Rifugio Scarfiotti und weiter über die französische Grenze.

Wir verbringen auf 900 Metern die erste warme Nacht, grillen und sitzen beim Schein unserer Lichterkette sowie einem Glas Wein noch lange gemütlich draußen. Am nächsten Morgen geht es zum Col de Parpaillon. Die Landschaft ist traumhaft schön und vergleichbar mit den Tagen zuvor. Die Piste besteht aus gelb-braunem, feinem Kies und ist bis zum Tunnel, der den Reiz der Strecke ausmacht, einfach zu fahren. Hinter dem Tunnel machen wir Kaffeepause zwischen hundert oder mehr bimmelnden und blökenden Schafen. Nur die vielen Motorräder, die auf der Strecke unterwegs sind, sind noch lauter. Die Abfahrt aus grob geschottertem Granit mit dicken Steinen und Stufen ist holprig, wegen der Auswaschungen deutlich schwieriger als der Anstieg und wir sind froh um eine Pause am Ende der Strecke. Die Nacht verbringen wir 100 Kilometer südlich am Fort Cental. Es ist wieder ungemütlich kalt, weil wir mitten in den Wolken stehen. Gut, dass wir im Defender auch drinnen kochen können.

Nach einem kalten Morgen und dem fast schon obligatorischen Kaffee in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen geht es auf die bekannteste Piste in den Westalpen, die Ligurische Grenzkamm-Straße. Die Piste windet sich zwischen Italien und Frankreich durch die Berge. Der nördliche Teil ist traumhaft schön. Die Piste ist bizarr in den Fels geschlagen – links der Felsen, rechts der steile Abgrund und nach der nächsten Kehre umgekehrt. Es ist steinig und sehr eng. Hinter jeder Kurve ergibt sich ein neuer traumhafter Blick in die Bergwelt. Die Berge sind nicht so schroff wie auf den Pisten vorher und wir bekommen einen etwas anderen Eindruck von der Schönheit der Alpen. Uns gefällt die Bergwelt an der Assietta jedoch ein klein wenig besser.

Von Stille ist auf dem bekanntesten Teil der Ligurischen Grenzkammstrasse am Sonntag leider nichts zu spüren – Motorräder über Motorräder, die teilweise extrem laut sind. Dazwischen Geländewagen, e-Bikes, Wanderer. Ständig Gegenverkehr, ständig möchte jemand vorbei oder muss überholt werden. An der berühmtesten Stelle parken 2 Autos, 8 Motorräder und 4 Fahrräder in der Kehre. Wir kommen kaum vorbei mit dem Defender und ein Foto von Pigpen vor der dramatischen Bergkulisse ist nicht möglich. Uns ist das alles zu viel Trubel und wir halten nur selten für Fotos an. Nachdem sich die Straße wieder ins Tal windet und wir unter die Baumgrenze kommen, wird es ruhiger – viele fahren nicht weiter in der Süden, sondern fahren den Hauptteil der Piste zurück.

Wir fahren jedoch weiter und treffen bei wenig Verkehr auf die sehr enge und holprige Südpiste. Die Landschaft ist auch hier fantastisch, aber nicht so dramatisch wie der Nordteil. Es geht weiter durch dichten Tannenwald. Die Äste hängen tief und ragen in den Weg hinein. Wir finden einen schönen Campingspot an einem alten Fort. Dort lassen wir den Tag ausklingen bei angenehmen Temperaturen und einem Gläschen Sekt. Heute ist unser Hochzeitstag und schöner hätte der Abend kaum sein können.

Morgens hoppeln wir auf guter Piste zehn Kilometer über die französische Zufahrt zur südlichen Ligurischen Grenzkammstrasse ins Tal – mit vielen schönen Eindrücken im Herzen, großer Dankbarkeitund ein wenig Wehmut. Dieser Teil des Urlaubs ging viel zu schnell vorbei.

Für uns ist es die Vielfalt, die einen Urlaub und auch unser Leben im allgemeinen ausmachen. Einsame Nächte in der Natur, einfache Stellplätze, Agritourismus-Plätze, Offroad-Treffs und auch mal (nicht zu touristische) „normale“ Campingplätze. Dabei ziehen wir eindeutig Naturplätze vor – wir brauchen kein Animationsprogramm.

Seit mehreren Jahren wollen wir schon zum Lago di Ledro, dem kleinen, weniger touristischen See unweit vom Gardasee. Nach der Offroad-Erfahrung unterbrechen wir hier die Heimreise und gönnen uns als Exot zwischen viel „weißer Ware“ noch einen faulen Tag. Gegen Mittag kommt die Sonne raus. Wir wandern um den See, stärken uns unterwegs bei einer Brotzeit und gönnen uns am Ende als Belohnung für die Anstrengung (hüstel) einen Aperol-Spritz. Ein letztes Mal genießen wir die italienische Sonne, lesen, dösen, hören Musik und gehen abends essen.

Es geht endgültig über den Brenner nach Hause. Neun Tage waren wir unterwegs, wir durften geniale Pisten bei super Wetter in traumhafter Landschaft mit einem perfekt dafür geeigneten Fahrzeug genießen, haben zwei Nächte chillig direkt am Lago di Ledro gestanden und haben uns fantastisch erholt. Zu Hause war unendlich weit weg.

Jetzt hat uns der Alltag wieder.